Dolomiten,
Ich habe euch auf den ersten Blick geliebt, ein wahrer Coup de Foudre, die Art von Liebe, die nur ein paar Mal im Leben eines Mannes geschieht.
Ihr wart so wunderschön, und je besser ich euch kennenlernte, desto mehr liebte ich euch. Viele Winter lang bin ich über euch geglitte. Ihr habt mich so viel gelehrt, mich träumen lassen und mich stets in fieberhafter Sehnsucht auf unser Wiedersehen zurückgelassen. Mit der Zeit habt ihr mir eure Geheimnisse offenbart und mit ihnen die Perfektion bestimmter Teile eures Körpers. Ihr habt mich eingeladen, jede Facette eurer Persönlichkeit zu erkunden – von den Couloirs, die sich zwischen euren Kalksteinzitadellen verbergen, bis zu den tiefen und geheimnisvollen Wäldern, in denen ich wochenlang meine Spuren zog.
Heute kann ich sagen: Meine größten Emotionen als Skifahrer habe ich in den Dolomiten erlebt. Die Sinnlichkeit der ersten Spur auf frischem Pulverschnee am Morgen, wenn Milliarden von Schneeflocken meine Oberschenkel streife. Der Moment der Ekstase, geteilt mit Freunden, die zu Brüdern oder Liebenden werden. Das wilde Delirium, durch eure prachtvollen, tiefen Wälder zu gleiten – wo man wieder ursprünglich wird, fast animalisch, wie ein Wolfsrudel auf der Jagd.
Ich habe einen Pakt mit euch geschlossen: Wenn ich am Fluss oder auf dem Rückweg meine Ski ablegte und wieder ein einfacher Fußgänger wurde, würde ich immer zurückblicken, um meine Spur zu sehen, euch zunicken oder euch winken. Und wenn es Zeit war zu gehen, würde ich immer etwas Palo Santo oder Salbei verbrennen, als Geste der Anerkennung und Dankbarkeit.
Doch heute schmerzt mein Herz, wenn ich euch ansehe. Die winterliche Trockenheit verleiht euren Bergen ein unheimliches, trostloses Aussehen und der Sturm von 2018, zusammen mit einem Parasiten, hat viele eurer Wälder verwüstet. Ich habe das Gefühl, eine alte, kranke Kreatur zu betrachten, deren Fell von Räude zerfressen wird.
Es ist schmerzhaft, doch euer verwundeter Körper steht noch (unerschütterlich, im glazialen Glanz mancher Morgendämmerungen, so schön, dass sie mir die Tränen in die Augen treiben). Eure kolossalen Knochen, die sich vor Millionen von Jahren aus den Tiefen des Meeres erhoben haben, sind noch nicht zerfallen, und ich weiß, dass die Magie zurückkehren kann. Und um diese Hoffnung zu nähren, bewahrt ihr noch, tief in eurem Herzen und an versteckten, geschützten Orten, hoch in den Tälern und in Arenen, die den ganzen Winter über kaum das Licht der Sonne sehen, eine kleine Reserve an natürlichem Schnee.
Mit Layla und unserem Freund Thor machten wir uns für zwei Tage auf die Suche nach diesen letzten Oasen der Frische. Indem wir in unsere Bindungen stiegen, setzten wir unsere Ski an, Schlüssel, die die Türen zu einer anderen Welt aufschließen, einer Welt, die langsam verschwindet wie so viele Arten und deren Funken wir schützen und in unseren Augen lebendig halten müssen.
Im langsamen Rhythmus unserer Atemzüge betraten wir erneut den schönsten Teil dessen, was ihr zu bieten habt, ein wohlgehütetes Wintergeheimnis, verborgen zwischen euren Felswänden.
✒️ Bruno Compagnet
📸 Layla Kerley
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